Mannheim, 12.01.2021

PLM-gesteuert wäre Buran heute gewiss eine Erfolgsstory

Buran, der russische Gegenentwurf zum Space Shuttle, scheiterte 1993 aus finanziellen Gründen. Nur ein einziges Mal hat es das Raumschiff unbemannt ins All geschafft. Ein Grund waren sicherlich die in 17 Jahren aufgelaufenen, zu hohen Entwicklungskosten. Doch mit welchen Tools ließ sich der in den 70er Jahren gestartete Produktentstehungsprozess überhaupt managen? Und würde es das russische Raumfahrtprogramm heute vielleicht noch geben, wenn es schon damals Product Lifecycle Management-Systeme gegeben hätte, um Datenflüsse und Abläufe unternehmensweit transparent, durchgängig und agil zu steuern? Ein Blick zurück.

Zusammen mit den gut 100 Subunternehmern müssen die rund 7.000 Mitglieder des Projektteams unzählige CAD-Zeichnungen produziert haben. Kaum vorstellbar, wie sie sie mit all ihren Änderungen und Versionen verwaltet haben, denn erst in den 80er Jahren kamen erste Managementsysteme für CAD-Zeichnungen auf den Markt. Sachmerkmalsleisten klassifizierten die Bauteile und strukturierten die Produkte. Dies ermöglichte ein schnelles Finden von Objekten und förderte die Wiederverwendung von Komponenten. Zu den Entwicklungsergebnissen der anderen Disziplinen allerdings bestand keine Verbindung. Die Mechanik gab die Rahmenbedingungen vor, die anderen folgten. Dementsprechend komplex muss der interdisziplinäre Abstimmungsprozess mit Hilfsdokumenten in diesem großen, verteilten Buran-Projektteam gewesen sein.

Was die benachbarten Fachbereiche wie Beschaffung, Lager und Fertigung angeht, so erhielten sie die für sie relevanten Informationen erst nach Entwicklungsende, und zwar überwiegend gedruckt oder als handgeschriebene Listen. Entsprechend zeitintensiv und fehleranfällig waren das Schreiben der CNC-Programme sowie das manuelle Erfassen der Stücklisten in ihren Systemen. Der Buran bestand schließlich aus ca. 2 Millionen Einzelteilen.

Single Source of Truth für die ganzheitliche Produktentstehung

Mit dem Ziel, die Marktreife zu beschleunigen, die Entwicklungskosten reduzieren und die Produktqualität zu steigern, kamen in den 90er Jahren die ersten Produktdatenmanagement-Systeme (PDM) auf den Markt. Noch immer organisierten auch diese Engineering Databases nur die mechanischen Produkte. Hilfreich war nun, dass eine geschickt aufgebaute Systemarchitektur Abhängigkeiten aufzeigte. Schaltpläne, Verbindungslisten sowie der Schaltschrankaufbau bzw. Gerber-Daten und Bestückungspläne für die Elektronik oder Informationen aus der Fluidik konnten sie jedoch immer noch nicht abbilden.

Während die Entwicklungsbereiche also weiterhin mehr oder weniger unabhängig voneinander arbeiteten, strebten die Unternehmen in den 1990er Jahren die ersten fachbereichsübergreifenden Systemintegrationen an. Mit dem Ziel, Materialwirtschaft und Fertigung zu optimieren, erfolgte die Übergabe der Maschinendaten an die CNC-Maschine fortan ebenso digital wie die der Stücklisten an den Einkauf.

Dadurch rückte das große Effizienzpotenzial, das in unternehmensweit durchgängigen Prozessen lag, immer mehr in den Fokus. Anfang der 2000er Jahre entstand schließlich die Idee für ein Product Lifecycle Management (PLM) als Single Source of Truth - eine konsistente, umfassend transparente Datenbasis für das gesamte Produkt. Sie beseitigte die Datensilos und sorgte endlich für Versionssicherheit. Der Startschuss für den Aufbau des digitalen Zwillings.

Ereignisse, wie beispielsweise die Stücklistenübergabe an das ERP-System oder das Abspeichern einer neuen CAD-Version sollte den nachfolgenden Prozess triggern.

Der Buran in einem agilen Wertschöpfungsnetzwerk

Seit etwa 2010 verzahnen neue Technologien die Engineering-Welt mit der erweiterten Supply Chain. Dank standardisierter Adapter gelingt es immer einfacher, die Produktdaten in Bereichen wie Beschaffung, Logistik, Produktion, Service und Wartung, zu nutzen. Dafür lassen sich diese Standard-Schnittstellen immer einfacher auf individuelle Anforderungen anpassen. Dies zunächst noch über Entwicklungsprojekte, später über Parameter und heute zusätzlich über Apps und Microservices.

Das Buran-Team hätte mit einem PLM-System Dokumente und Wissen geteilt, mittels Templates und Best Practices Prozesse sicher und effizient ausgeführt. Die 100 Subunternehmer hätten diese Abläufe voll integriert.

Auf diese Weise digitalisierte, automatisierte und rückverfolgbare Abläufe machen aus der Wertschöpfungskette ein effizientes Wertschöpfungsnetzwerk, das nicht nur die Innovationszyklen messbar verkürzt, sondern auch die Projektrentabilität steigert. Es harmonisiert verteilte Entwicklungszentren und Produktionen und vereinfacht die heute von den Märkten geforderte individuelle Massenproduktion mit Losgröße 1.

PLM vernetzt digitalen Zwilling mit dem physischen Produkt

Die Zukunft von Produktion und Produkt ist smart. Hier spielt der digitale Zwilling eine zentrale Rolle, und zwar als Datenbasis für smarte Technologien. IoT, Augmented Reality, Big Data, etc. liefern Einblicke in die Customer Experience und das Verhalten der intelligenten, vernetzten Produkte. Erneut agiert PLM als wertvolles Bindeglied zwischen der virtuellen und realen Welt, das die Produktverbesserung vereinfacht.

Mit einer PLM-basierten, effizienten Produktentwicklung hätte Russland sein Raumfahrtprogramm sicher nicht eingestellt. Vielmehr würden wir heute wahrscheinlich den vernetzten, in Teilen autonom agierenden Buran erleben.